Das Bundesgericht veröffentlicht unermüdlich wegweisende Urteile. Um dieser Flut an Rechtsprechung Herr zu werden, fassen wir wöchentlich die relevantesten Urteile kurz und knapp zusammen. Diese kurze Übersicht wird in Zukunft regelmässig veröffentlicht. Ziel ist es dabei nicht, sämtliche Punkte aller Urteile wiederzugeben. Vielmehr soll dem interessierten Leser die Möglichkeit eröffnet werden, sich aktuell und zeitsparend über die ihn interessierenden Urteile auf dem Laufenden zu halten. Der Fokus liegt dabei auf den deutschsprachigen Urteilen, wobei jedoch die französischsprachigen und italienischsprachigen Urteile zeitnah nachgereicht werden. Wir hoffen, damit einen kleinen Beitrag an die Schweizer Juristerei liefern zu können und freuen uns über sämtliche Rückmeldungen und Ergänzungen.
10.03 2025 – 14.03.2025
Bundesgerichtliche Rechtsprechung
Zusammengefasst von Dafina Begaj
2C_21/2024 * (05.02.2025) Individuelle Prüfung Netznutzungstarife 2009 bis 2016
Im Zusammenhang mit Streitigkeiten bezüglich Elektrizitätstarifen hält das Bundesgericht fest, dass es die Aufgabe der ElCom ist, in solchen Streitigkeiten zu entscheiden und in diesem Rahmen zu prüfen, ob die von den Verteilnetzbetreiberinnen festgelegten Tarife gesetzmässig sind und richtig angewendet werden (E. 4.2). Sind die Tariferlöse einer Verteilnetzbetreiberin – z. B. im Jahr 2015 – höher oder tiefer als die anrechenbaren Ist-Kosten, die sich im Nachhinein aus der Kostenrechnung (des Jahres 2015) ergeben, sind die Mehr- oder Mindereinnahmen über Deckungsdifferenzen in den Folgejahren bei der Festlegung der künftigen Tarife auszugleichen (E. 4.3). Hinsichtlich der gesetzmässigen Tarife bestätigt das Bundesgericht, dass der Begriff der “Gesetzmässigkeit” im individuellen Tarifprüfungsverfahren nach Art. 22 Abs. 2 lit. a StromVG (Streitfall) nicht etwas anderes bedeuten kann als im Verfahren nach Art. 22 Abs. 2 lit. b StromVG (Überprüfung von Amtes wegen). In beiden Fällen gehört zur Gesetzmässigkeit insbesondere, dass die Tarife kostenbasiert sind, was sich anhand der anrechenbaren Kosten im Sinne von Art. 14 f. StromVG bestimmt (E. 5.5.1). Die im Reporting-Tool der ElCom erfassten Werte und Angaben stellen im Grundsatz eine geeignete Prüfungsbasis für die (beiden) Tarifprüfungsverfahren nach Art. 22 Abs. 2 lit. a und lit. b StromVG dar. Ein Abgleich mit den Belegen aus dem Rechnungswesen oder der Buchhaltung der Verteilnetzbetreiberin kann punktuell erfolgen. Zwingend ist eine eingehende Prüfung nur dann, wenn Anhaltspunkte bestehen oder die ElCom Zweifel daran hat, dass die Kostenrechnung oder die deklarierten Werte und Angaben nicht korrekt sind. Der ElCom kommt in diesem Sinne ein gewisses Prüfungsermessen zu, das sie pflichtgemäss auszuüben hat (E. 5.6.2).
6B_95/2024 * (06.02.2025) Betrug, Urkundenfälschung (COVID-19-Kredit)
Unter Verweis auf das kürzlich ergangenen Urteil 6B_262/2024 vom 27. November 2024 wiederholt das Bundesgericht, dass die im Covid-19-Kreditantragsformular enthaltenen Erklärungen sehr unterschiedlicher Natur seien. Bezüglich der Zusicherungen, die Gesellschaft sei von der Covid-19-Pandemie “namentlich hinsichtlich ihres Umsatzes wirtschaftlich erheblich beeinträchtigt” und der Kreditnehmer werde den gewährten Kredit ausschliesslich zur Sicherung seiner laufenden Liquiditätsbedürfnisse verwenden, geniesse das Schriftstück keine erhöhte Glaubwürdigkeit im Sinne der zur Falschbeurkundung ergangenen Rechtsprechung (E. 2.4.1). Vorliegend bestätigte das Bundesgericht den Schuldspruch der Vorinstanz bezüglich der Urkundenfälschung, indem der Beschwerdeführer im Covid-19-Kreditantragsformular einen zu hohen Umsatzerlös angab und somit die Auszahlung eines höheren Covid-19-Kredits erwirken wollte (E. 2.5). Die Täuschung durch den Beschwerdeführer sei arglistig gewesen. Dies begründete das Bundesgericht damit, dass die Covid-19-Überbrückungshilfe bewusst unbürokratisch gestaltet war und dank der vereinfachten Prozesse und der Kreditgewährung auf Basis von Selbstdeklaration innert Kürze zahlreiche um das Überleben kämpfende KMU rasch Liquiditätshilfe erhalten konnten. Eine Überprüfung der Angaben zum Umsatzerlös beispielsweise anhand von Buchhaltungsunterlagen wäre theoretisch zwar möglich gewesen, wegen des Zwecks des Covid-19-Kredits, d.h. der notwendig gewordenen, schnellen und unbürokratischen Unterstützung, in der Covid-19-Solidarbürgschaftsverordnung zumindest bei Krediten von bis zu Fr. 500’000.– jedoch nicht vorgesehen (E. 3.4.2). Zudem bestätigte das Bundesgericht auch den Vermögensschaden über einen Dreiecksbetrug (E. 3.4.3).
9C_79/2024 * (06.02.2025) Alters- und Hinterlassenenversicherung
Unter Verweis auf die vom BSV erlassene Wegleitung über die Renten (RWL) in der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung führt das Bundesgericht aus, dass das Gericht vorliegend nicht ohne triftigen Grund von Verwaltungsweisungen abweicht, wenn diese eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben darstellen. Vielmehr werde hierdurch dem Bestreben der Verwaltung, durch interne Weisungen eine rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu gewährleisten, Rechnung getragen (E. 4.3). Streitig war vorliegend, ob sich eine Schuldneranweisung nach Art. 132 ZGB einerseits von solchen nach Art. 177 oder Art. 291 ZGB andererseits aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht hinreichend unterscheidet, um eine unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen (E. 5.2). Das Zivilrecht ordnet in Art. 132 Abs. 1 ZGB im Bewusstsein des Umstandes, dass die eheliche Gemeinschaft mit der Scheidung endet, an, dass das Zivilgericht den Schuldner der zum Unterhalt verpflichteten Person anweisen kann, die Zahlungen ganz oder teilweise an die berechtigte Person zu leisten. Besondere Gründe, weshalb das Sozialversicherungsrecht im vorliegenden Zusammenhang von den Wertungen des Zivilrechts abweichen sollte, sind gemäss dem Bundesgericht keine ersichtlich (E. 5.4). Somit ist eine vom Zivilgericht gestützt auf Art. 132 ZGB angeordnete Anweisung zur Drittauszahlung eines Teils der dem Versicherten zustehenden Leistungen gleich zu behandeln wie solche gestützt auf Art. 177 oder Art. 291 ZGB (E. 5.5).
4A_623/2024 * (19.02.2025) Unentgeltliche Rechtspflege; Anfechtungsobliegenheit
Vorliegend hatte sich das Bundesgericht mit der Frage zu befassen, ob die Abweisung der unentgeltlichen Rechtspflege auch noch nachträglich mit dem Endentscheid der ersten Instanz angefochten werden kann. Hierzu führte es aus, dass es sich nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handle und die Rüge stattdessen als subsidiäre Verfassungsbeschwerde zu behandeln sei (E. 1.3.3). Vorliegend folgt das Bundesgericht der überwiegenden Meinung, der zufolge in der gesetzlich vorgesehenen direkten Anfechtungsmöglichkeit implizit der gesetzgeberische Entscheid für eine Anfechtungsobliegenheit zu sehen ist. Die selbständig eröffnete qualifizierte prozessleitende Verfügung könne demnach nach Ablauf der Beschwerdefrist nicht mehr mit dem Endentscheid angefochten werden (E. 2.2.3). Entsprechend wies das Bundesgericht die subsidiäre Verfassungsbeschwerde in dieser Hinsicht ab (E. 3).
1C_236/2024 * (20.02.2025) Finanzreferendum
Vorliegend war streitig, ob ein Beschluss des Kantonsrats über eine Ausgabe des Kantons in die alleinige Kompetenz des Kantonsrats fällt oder dem Finanzreferendum unterstand (E. 3.2). Hierzu führte das Bundesgericht aus, dass es unbestritten sei, dass es sich beim fraglichen Kantonsratsbeschluss um eine neue, einmalige Ausgabe im Sinne der Verfassungsbestimmungen des Art. 74 Abs. 1 lit. a der Verfassung des Kantons Solothurn vom 8. Juni 1986 i.V.m. Art. 80 Abs. 1 KV/SO handelte. Die zu beantwortende Rechtsfrage bestand darin, ob der Beschluss ein “Strassenprojekt” im Sinne von § 8ter Abs. 4 SG/SO betraf und daher nicht dem Referendum unterstellt werden musste (E. 3.4). Das Bundesgericht hielt dazu fest, dass, selbst wenn man von einem sehr weiten Strassenbegriff ausgeht und unter Strassenprojekten im Sinne von § 8ter Abs. 4 SG/SO neben solchen zur eigentlichen Strassenfahrbahn auch Rad- und Gehwege, Strassennebenanlagen sowie Aufwendungen für deren Realisierung dazu zählt, so fallen dennoch Eisenbahnanlagen nicht darunter (E. 3.8). Vorliegend umfasste der bewilligte Kredit unter anderem Fr. 5’543’676.– für Eisenbahnanlagen. Diese Summe überstieg auch den Schwellenwert von 5 Mio. Franken, ab welchem Art. 35 Abs. 1 lit. e KV/SO für Beschlüsse des Kantonsrats über neue einmalige Ausgaben das obligatorische Referendum vorschreibt. Der Beschluss hätte somit dem obligatorischen Referendum unterstellt werden müssen (E. 3.9).
03.03 2025 – 07.03.2025
Bundesgerichtliche Rechtsprechung
Zusammengefasst von Dafina Begaj
2C_671/2023 * (21.01.2025) Energie; Zusicherung der Entschädigung der voraussichtlichen Kosten von Sanierungsmassnahmen
Im vorliegenden Entscheid leitet das Bundesgericht aus der Entstehungsgeschichte des Art. 15 aEnG ab, dass der Begriff des Einvernehmens als Einverständnis der Bundesfachbehörde zu verstehen ist. Mit Blick auf den betroffenen Kanton handle es sich beim vorausgesetzten Einvernehmen demgegenüber nicht um ein Einverständnis, sondern um ein Instrument der Koordination (E. 4.5). Vorliegend war umstritten, ob die wiederkehrenden Betriebs- und Unterhaltskosten, die im Zusammenhang mit den umgesetzten Sanierungsmassnahmen im Sinne von Art. 83a GSchG oder Art. 10 BGF stehen, ebenfalls als “Kosten für die Massnahmen” gelten (E. 5.4). Für die Beurteilung stützt sich das Bundesgericht auf den Bericht der UREK-S und stellt fest, dass dieser keine Anhaltspunkte erkennen lasse, dass es sich bei den Betriebs- und Unterhaltskosten um Kosten im Sinne von Art. 34 EnG handelt (E. 5.6.1). Diese Aufgabe obliege den Betreiberinnen der Wasserkraftwerke und stelle einen Aspekt der gesetzeskonformen Ausübung der Konzessionstätigkeit dar (E. 5.7). Unter Berücksichtigung sämtlicher Auslegungselemente ergebe sich, dass die Betriebs- und Unterhaltskosten nicht als “Kosten für die Massnahmen nach Art. 83a GSchG und Art. 10 BGF gelten (E. 5.8).
5A_17/2024 * (03.02.2025) Anfechtung von Beschlüssen der Stockwerkeigentümergemeinschaft
Das Bundesgericht hatte sich mit der Frage zu befassen, ob einzelne Stockwerkeigentümer den Beschluss der Stockwerkeigentümerschaft zugunsten der Durchsetzung des Reglements der Stockwerkeigentümerschaft anfechten können (E. 2.3.3). Lehrmeinungen, die sich zu dieser Frage äussern, bejahen eine Pflicht, das Reglement erforderlichenfalls klageweise durchzusetzen (E. 2.3.4). Vorliegend wirkte sich der beanstandete Einbau der Bodenbeläge ausschliesslich im Verhältnis zwischen der betreffenden Stockwerkeinheit und der Stockwerkeinheit der Beschwerdeführer aus. Gemeinschaftliche Interessen waren nicht betroffen. Als unmittelbar betroffene Eigentümer haben die Beschwerdeführer die Möglichkeit, gegen störende Immissionen nach Art. 679 i.V.m. Art. 684 ZGB vorzugehen. Das Bundesgericht unterlässt dabei die Beurteilung des Beweisrisikos im Rahmen einer Klage aufgrund von Art. 679 i.V.m. Art. 684 ZGB und beurteilt dieses als den Beschwerdeführern verfügbarer, zumutbarer Rechtsweg (E. 2.4).
7B_540/2023 * (06.02.2025) 7B_540/2023 Leistungsbetrug; Erschleichen einer falschen Beurkundung; Ersatzforderung; Beschleunigungsgebot; 7B_541/2023 Einziehung von Vermögenswerten; Genugtuung
Im vorliegenden Fall hatte das Bundesgericht den Fall zu beurteilen, in dem das BWL dadurch, dass die Gesellschaften in ihren Bilanzen ein zu hohes Aktienkapital auswiesen, über die Voraussetzungen der Bürgschaftsgewährung getäuscht worden sei. Diese Täuschung habe dazu geführt, dass zugunsten der Schiffsgesellschaften Bürgschaften gewährt worden seien, die eine vollständige Fremdfinanzierung der Schiffe gesichert habe (E. 8.2.3). Das Bundesgericht widersprach der Einschätzung der Vorinstanz in dem Punkt, dass Bürgschaften gemäss Bürgschaftsverordnung auch dann unter Art. 14 Abs. 1 VStrR fallen, wenn es um die Tatbestandsvariante des Erfüllungsbetrugs gehe (E. 9.2). Es fasst zusammen, dass nach geltendem Recht die Tatbestandsvariante des Erfüllungsbetrugs nur erfülle, wer den Entzug einer der in Art. 14 Abs. 1 VStrR ausdrücklich genannten Leistungen (d.h. Konzessionen, Bewilligungen oder Kontingenten) verhindere. Indem die Vorinstanz diese Tatbestandsvariante auf Bürgschaften gemäss der Bürgschaftsverordnung für anwendbar erklärt hat, habe sie gegen Bundesrecht verstossen (E. 9.6.6). Inhaltlich falsche Bilanzen erfüllen den objektiven Tatbestand der Urkundenfälschung in der Tatbestandsvariante der Falschbeurkundung gemäss Art. 251 Ziff. 1 StGB (E. 10.4.2). Mit dem unwahre Angaben enthaltenden Anmeldeformular ans Handelsregister und den weiteren – nebst der zunächst erschlichenen Urkunde – beigelegten Urkunden sei eine eigenständige Täuschung des Handelsregisterführers erwirkt worden, weshalb keine straflose Vortat zur anschliessenden Erschleichung einer falschen Beurkundung durch Anmeldung der Aktienkapitalerhöhung beim Handelsregisteramt vorliege (E. 11.3.3). Im Zusammenhang mit dem Eingehungsbetrug komme aufgrund der Generalklausel des Art. 14 Abs. 1 VStrR jede dem Gemeinwesen zuzuordnende Leistung als Leistungsdisposition in Betracht (E. 12.4.2). Die Tatbestandsverwirklichung des Leistungsbetrugs nach Art. 14 Abs. 1 VStrR setzt das Vorliegen eines Vermögensschadens nicht voraus (E. 12.4.5). Die Intercompany-Darlehen widersprachen den Interessen der schweizerischen Tochtergesellschaften, weil diese Darlehen aus dem geschützten Eigenkapital erfolgten und die Rückzahlung an die schweizerischen Tochtergesellschaften in höchstem Masse gefährdet war. Den Vorsatz bejahte das Bundesgericht aufgrund des Fachwissens und der Verantwortung des Geschäftsführers und bejahte somit die Anwendung von Art. 158 StGB (E. 14.5.4). Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe. Folglich unterliegt die Ersatzforderung grundsätzlich den gleichen Voraussetzungen wie die Einziehung. Während solche Ersatzforderungsbeschlagnahmen gegenüber unbeteiligten Dritten unzulässig sind, sind sie zulässig gegenüber solchen, die wirtschaftlich betrachtet im Eigentum der beschuldigten Person stehen, weil sie etwa durch ein Scheingeschäft an eine “Strohperson” übertragen worden sind (E. 21.2.3). Weiter führte das Bundesgericht zu 434 StPO aus, dass diese als Kausalhaftung ausgestaltet sei (E. 23.4.2) und verneinte in diesem Zusammenhang das Vorliegen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen dem gegen den Beschwerdeführer 1 geführten Strafverfahren und der von der Beschwerdeführerin 2 (angeblich) erlittenen Persönlichkeitsverletzung (E. 23.4.3).
24.02 2025 – 28.02.2025
Bundesgerichtliche Rechtsprechung
Zusammengefasst von Dafina Begaj
2C_160/2023 * (21.01.2025) Erstattungsforderung (Fabrikationskreditversicherung) sowie Forderung aus öffentliche-rechtlichem Versicherungsvertrag (Fabrikationsrisiko- und Lieferantenkreditversicherung)
Im vorliegenden Fall bestand zwischen der Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin (SERV) eine Lieferantenkreditversicherung. Zwischen der SERV und dem Finanzinstitut bestand weiter eine Fabrikationskreditversicherung. Umstritten war, ob die Beschwerdegegnerin aus der Lieferantenkreditversicherung eine Versicherungsleistung hätte leisten müssen und ob die Beschwerdeführerin diese mit der Forderung aus der Fabrikationskreditversicherung hätte verrechnen können. Unter Berufung auf seine bisherigen Ausführungen zur Vorgängerbestimmung, Art. 11 ERGG, führte das Bundesgericht zu Art. 17 Abs. 1 SERVG aus, dass eine Entschädigung grundsätzlich nur infrage komme, wenn Bestand und Umfang der Forderung des schweizerischen Exporteurs verbindlich feststehen, sei es weil diese vom Schuldner anerkannt wird, sei es weil darüber gerichtlich befunden wurde (E. 7.2.1). Weiter bejahte das Bundesgericht auch unter Beizug der allgemeinen Geschäftsbedingungen für Lieferantenkreditversicherungen die Zumutbarkeit der gerichtlichen Feststellung der Forderung im betreffenden Land. Mangels gerichtlicher Feststellung kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass keine Versicherungsleistung geschuldet war (E. 7.5.2). Somit sei die Verrechnungseinrede der Beschwerdeführerin bezüglich der Erstattungsschuld mit ihrer Forderung aus der Lieferantenkreditversicherung erfolglos, da die Beschwerdeführerin auch keinen Anspruch auf die eingeklagte Versicherungsleistung aus der Lieferantenkreditversicherung habe (E. 8.5.1). Auch die Einrede der Verhinderung der Rückzahlung i.S.v. Art. 156 OR liess das Bundesgericht nicht gelten, da die Beschwerdegegnerin, wie vorangehend festgestellt, keine vertragliche Pflicht zur Ausrichtung einer Versicherungsleistung traf (E. 8.5.2).
17.02 2025 – 21.02.2025
Bundesgerichtliche Rechtsprechung
Zusammengefasst von Dafina Begaj
2C_307/2023 * (14.01.2025) Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (Familiennachzug)
Das Bundesgericht erachtete den Anwendungsbereich des FZA vorliegend als eröffnet: Da der Beschwerdeführer 2 als italienischer Staatsangehöriger in der Schweiz lebt sowie arbeitet (und er nicht zugleich die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt), können sich die Beschwerdeführer grundsätzlich auf einen abgeleiteten Aufenthaltsanspruch der Beschwerdeführerin 1 und die freizügigkeitsrechtliche Bestimmung des Familiennachzugs gemäss Art. 3 Abs. 1 Anhang I FZA berufen (E. 5.4). Die Eigenschaft einer Familienangehörigen, der Unterhalt gewährt wird, ergibt sich aus einer tatsächlichen Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der erforderliche Unterhalt der Familienangehörigen von der aufenthaltsberechtigten Person zumindest teilweise und regelmässig in einer gewissen Erheblichkeit materiell sichergestellt wird (E. 6.1). Vorliegend war nicht nachgewiesen, dass der Beschwerdeführer 2 Unterhaltsleistungen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 und 2 lit. b Anhang I FZA erbracht hat und der Anspruch auf Familiennachzug wurde somit verneint (E. 6.5).
5A_336/2024 * (17.01.2025) Validierung Vorsorgeauftrag
Streitig war vorliegend die Formgültigkeit des Vorsorgeauftrags und die Frage, ob sie sich nach kantonalem Recht gemäss Art. 55 SchlT ZGB richtet oder der Beizug von zwei Zeugen analog Art. 499 ff. ZGB erforderlich ist. Die Gültigkeit des Vorsorgeauftrags vom Beizug von zwei Zeugen abhängig zu machen, hiesse, die Formerfordernisse über den Gesetzeswortlaut hinaus auszudehnen. Das verträgt sich nicht mit dem Gebot, die Beteiligten in ihrem Vertrauen auf eine möglichst wörtliche Befolgung des Gesetzes zu schützen (E. 3.5.1). In Anwendung des pragmatischen Methodenpluralismus kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass der Wortlaut von Art. 361 Abs. 1 ZGB insofern eindeutig ist, als sich ihm kein Verweis auf Art. 499 ff. ZGB entnehmen lässt. Es kommt schliesslich zum Ergebnis dass sich die öffentliche Beurkundung des Vorsorgeauftrags nach kantonalem Recht richtet (E. 3.5.5).
4A_189/2024 * (27.01.2025) Versicherungsrecht, direktes Forderungsrecht, Übergangsbestimmung
Der als Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag bzw. Versicherungsvertragsgesetz (VVG) bezeichnete Erlass umfasst neben den unmittelbar vertragsrechtlichen Regeln auch weitere Bestimmungen zu Rechtsverhältnissen mit Drittpersonen, die nicht Parteien des Versicherungsvertrags sind (E. 2.4.5). Der mit der Teilrevision beabsichtigte Schutzgedanke vermag eine übergangsrechtlich unterschiedliche Behandlung von geschädigten Dritten und Versicherungsnehmern nicht zu rechtfertigen, sondern spricht im Gegenteil für deren einheitliche Behandlung (E. 2.4.6). Das bedeutete im vorliegenden Fall, dass auf den vor Inkrafttreten der Änderung vom 19. Juni 2020 abgeschlossenen Versicherungsvertrag einzig die in Art. 103a VVG aufgeführten Bestimmungen des neuen Rechts anwendbar sind. Eine Rückwirkung weiterer Bestimmungen des neuen Rechts – so insbesondere betreffend das direkte Forderungsrecht nach Art. 60 Abs. 1bis VVG – ist gesetzlich ausgeschlossen (E. 2.4.8).
4A_435/2024 * (04.02.2025) Definitive Rechtsöffnung; Sicherstellungsverfügung
Vorliegend stellte sich die Frage, ob Sicherstellungsverfügungen zur definitiven Rechtsöffnung berechtigen, bevor sie in formelle Rechtskraft erwachsen sind (E. 5). Gemäss Art. 169 Abs. 1 Satz 2 DBG sind Sicherstellungsverfügungen sofort vollstreckbar. Es ist aber mit der ratio legis von Art. 169 Abs. 1 Satz 2 DBG nicht vereinbar, in das Eigentum der Steuerpflichtigen einzugreifen und dieses zu verwerten, bevor ein angerufenes Verwaltungsgericht über die Voraussetzungen der Sicherstellung materiell entschieden hat. Die Betreibung auf Sicherheitsleistung kann daher erst nach Eintritt der Rechtskraft der Sicherstellungsverfügung fortgesetzt werden. Dementsprechend bildet erst die rechtskräftige Sicherstellungsverfügung einen definitiven Rechtsöffnungstitel im Sinne von Art. 80 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG (E. 6.3.6).
7B_1440/2024 * (05.02.2025) Haftentlassung/ Verlängerung der Untersuchungshaft
Vorliegend bejahte das Bundesgericht in Übereinstimmung mit der Vorinstanz eine Anlasstat i.S.v. Art. 221 Abs 1bis StPO, indem der Beschwerdeführer bei den mutmasslich durch ihn begangenen Raubüberfälle nicht nur eine Klappsäge mit sich geführt, sondern diese auch zur Bedrohung seiner Opfer benutzt hatte. Damit einher ging die Gefahr, dass er in einer kritischen Situation von dieser Gebrauch machen und damit das Opfer erheblich verletzen oder sogar töten könnte. Damit ging das Bundesgericht von einer abstrakten und auch in ihrer konkreten Tatausführung um gegen hochwertige Rechtsgüter gerichtete schwere Delikte aus, ohne endgültige Qualifikation der mitgeführten Klappsäge als Waffe im Sinne von Art. 140 Ziff. 2 StGB (E. 4.5). Zudem bejahte das Bundesgericht die Wiederholungsgefahr nach Art. 221 Abs. 1bis lit. b StPO, indem es sich auf das vorinstanzliche psychiatrische Gutachten stützte, das eine Wiederholungsgefahr prognostizierte und somit eine Verlängerung der Untersuchungshaft (E. 5.2).
4A_601/2024 * (06.02.2025) Überprüfungsklage nach Art. 105 FusG; sachliche Zuständigkeit
Streitig war vorliegend die sachliche Zuständigkeit der Überprüfungsklage nach Art. 105 Abs. 1 FusG. Dabei hielt das Bundesgericht fest, dass es sich beim FusG um einen Anwendungsfall der sog. Dekodifikation handle, die sachlich eigentlich von der Privatrechtskodifikation umfasst sein sollte und sich in ein privatrechtliches Spezialgesetz abspaltete. Nach systematischer Auslegung kommt es zum Schluss, dass die mit dem Erlass des FusG vollzogene Dekodifikation nicht zur Folge haben könne, dass Klagen des FusG nicht mehr als solche des “Rechts der Handelsgesellschaften” gelten. Auch gesetzgebungshistorisch sei das Fusionsgesetz denn auch «kein rechtlicher Mikrokosmos», sondern müsse im Verbund mit den obligationenrechtlichen Normen, zu denen das Fusionsrecht sachlich gehört, ausgelegt werden (E. 2.4.3). Auch in teleologischer Hinsicht erachtet das Bundesgericht es als rechtmässig, das Handelsgericht aufgrund seines Branchenwissens oder spezifisch gesellschaftsrechtlichen Wissens in solchen Streitigkeiten als zuständig zu bezeichnen (E. 2.4.4).
10.02 2025 – 14.02.2025
Bundesgerichtliche Rechtsprechung
Zusammengefasst von Laura Ambühl
9C_37/2024 * (15.11.2025) Krankenversicherung
Die Beschränkung der Zulassung zur Berufsausübung zulasten der OKP zielt darauf ab, den Anstieg der Gesundheitskosten und damit der Krankenkassenprämien zu bremsen (E. 7.3.1). Nach ständiger Rechtsprechung verfolgt die Bedürfnisklausel von Art. 55a KVG ein sozialpolitisches Ziel, das im Hinblick auf die Wirtschaftsfreiheit zulässig ist, wobei privat praktizierende Ärztinnen und Ärzte aus der Wirtschaftsfreiheit nicht das Recht ableiten können, zulasten der sozialen Krankenversicherung Leistungen in unbegrenztem Umfang zu erbringen (E. 9; BGE 141 V 557 E. 7.1). Eine Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit durch die ZulaV/BE lässt sich nicht erkennen resp. wäre diese bereits durch Art. 55a KVG gerechtfertigt (E. 9). Auch verstösst die ZulaV/BE nicht gegen das Recht auf eine medizinische Grundversorgung, da einerseits die Zulassung nur dort beschränkt wird, wo der Bedarf gedeckt ist resp. jene ambulanten Fachgebiete der Grundversorgung gefördert werden, in denen tendenziell ein Mangel an Ärztinnen und Ärzten besteht (E. 10.3). Zudem hielt das Bundesgericht fest, dass die Beschränkung weder willkürlich ist (E. 14.1 ff.) noch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst (E. 15.1 ff).
7B_733/2024 * (31.01.2025) Entsiegelung (Quellenschutz der Medienschaffenden etc.)
Der Quellenschutz für Medienschaffende gilt absolut, d.h. es findet keine Abwägung kollidierender Interessen statt, wenn die aufzuklärende Straftat nicht im Ausnahmekatalog von Art. 172 Abs. 2 StPO aufgeführt ist (E. 3.3.1). Unter den Begriff der «befassten» Personen im Sinne von Art. 172 Abs. 1 StPO fallen nicht nur die Journalistinnen und Journalisten im eigentlichen Sinn, sondern sämtliche Personen, die an der Vorbereitung, Herstellung und Verbreitung von Medienerzeugnisse mitwirken, falls sie auf Grund ihrer Tätigkeit vom Redaktionsgeheimnis geschützte Einzelheiten zur Kenntnis nehmen könnten (E. 3.4; E. 4.1.1). Der Gesetzgeber gewichtet das Vertrauensverhältnis zwischen einem Informanten und einem Medienschaffenden grundsätzlich höher als das strafprozessuale Bedürfnis nach Sachverhaltsaufklärung. Medienschaffende haben nur dann ihre Quelle offenzulegen, wenn die gesetzlichen und grundrechtlichen Anforderungen hierfür erfüllt sind. Da das Delikt der Amtsgeheimnisverletzung nicht vom Ausnahmekatalog von Artikel 172 Absatz 2 StPO erfasst ist, gilt der Quellenschutz im konkreten Fall ohne Einschränkung (E. 4.1.2).
03.02 2025 –07.02.2025
Bundesgerichtliche Rechtsprechung
Zusammengefasst von Dafina Begaj
8C_119/2024 * (08.01.2025) Ergänzungsleistung zur AHV/IV (Berechnung des Leistungsanspruchs; Vermögensverzicht)
Die überlebende Ehegattin konnte auf eine voreheliche Verzichtshandlung keinerlei Einfluss nehmen, denn die Verzichtshandlung fand zu einer Zeit statt, als dem Verstorbenen noch keine eheliche Unterhaltspflicht oblag. Ihr den vorehelichen Vermögensverzicht des verstorbenen Ehegatten trotzdem anzurechnen, sei grundsätzlich schwerlich mit dem dargelegten Gesetzeszweck vereinbar. Es handle sich bei diesen – im Gegensatz zu einer unbelegten Vermögensabnahme – um tatsächliche Schulden, deren Anrechnung gesetzlich klar geregelt ist (E. 6.3).
Die Anrechnung eines Vermögensverzichts im Jahr 2017 hinsichtlich der vorliegend strittigen Frage habe weder im Grundsatz noch hinsichtlich der Höhe eine Bindungswirkung, zumal sich die damalige Konstellation eines verheirateten Paares mit gemeinsamer Leistungsberechnung klar von der gesonderten Leistungsberechnung der überlebenden Ehegattin unterscheide. Eine Verfügung über Ergänzungsleistungen könne als eine auf das Kalenderjahr bezogenen Versicherung (Art. 3 Abs. 1 lit. a ELG) in zeitlicher Hinsicht von vornherein nur für ein Kalenderjahr Rechtsbeständigkeit entfalten (E. 6.4).
6B_525/2024 * (15.01.2025) Versuchte sexuelle Handlung mit einer Minderjährigen gegen Entgelt, mehrfache zum Teil versuchte Nötigung; Landesverweisung
Strittig war vorliegend, ob es sich bei der Erfragung des Entsperrcodes um eine eigentliche Beschuldigteneinvernahme im Sinne der Art. 157 f. StPO handelte und ein entsprechender Hinweis somit zwingend hätte erfolgen müssen. Die bei der Hausdurchsuchung erfolgte Erhebung eines Entsperrcodes bei einer beschuldigten Person (und damit bei bereits bestehendem Tatverdacht) im Rahmen einer informellen Befragung – ohne vorgängige Belehrung im Sinne von Art. 158 Abs. 1 StPO – begründet eine unzulässige Aushöhlung des “nemo tenetur”-Grundsatzes. Damit liegt Unverwertbarkeit gemäss Art. 158 Abs. 2 StPO vor (E. 2.5.1). In casu wurde nicht von einer strikten Fernwirkung ausgegangen und die Anwendung von Art. 141 Abs. 4 StPO wurde bejaht (E. 2.5.2). Zu beurteilen war zudem auch, ob die Schwelle zum Versuch bereits erreicht worden sei. Hierbei führte das Bundesgericht aus, dass in casu die Schwelle zu einer versuchten Nötigung auch hinsichtlich eines “allgemeinen” Treffens nicht erreicht gewesen sei, zumindest solange weder ein konkreter Treffpunkt noch ein bestimmter Zeitpunkt für das Treffen vereinbart wurden (E. 3.4).
7B_1075/2024 * (27.01.2025) Vorzeitiger Strafvollzug (Vollzugsmodalitäten)
Durch die Revision von Art. 236 StPO ist die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Zuständigkeit über den Entscheid von Vollzugslockerungen im vorzeitigen Straf- oder Massnahmenvollzug überholt. Der Entscheid über Vollzugslockerungen im vorzeitigen Straf- oder Massnahmenvollzug obliegt somit neu den kantonalen Vollzugsbehörden nach Massgabe der kantonalen Bestimmungen. Die Verfahrensleitung darf die im vorzeitigen Strafvollzug befindliche beschuldigte Person – nach altem und neuem Recht – von Amtes wegen zurück in die Untersuchungs- oder Sicherheitshaft versetzen, wenn die Voraussetzungen für den vorzeitigen Vollzug nachträglich wegfallen, etwa weil eine neue Kollusionsgefahr aufgetaucht ist. Dasselbe muss gelten, wenn einer beschuldigten Person, welcher der vorzeitige Strafvollzug unter altem Recht gewährt wurde, nach neuem Recht nicht mehr bewilligt werden könnte (E. 3.7).
Das Bundesgericht geht mit der Vorinstanz insoweit überein, als dass diese nach neuem Recht für die Beurteilung des Urlaubsgesuchs des Beschwerdeführers nicht zuständig ist. Durch den Nichteintretensentscheid wird auch das Beschleunigungsgebot nicht verletzt. Die damalige Verfahrensleitung musste jedoch aufgrund der früheren Rechtslage davon ausgehen, dass sie selbst über allfällige Vollzugslockerungen entscheiden können würde. Da dies unter dem neuen Recht nicht mehr der Fall ist, muss das Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung der aktuellen Verfahrensleitung Gelegenheit zur Stellungnahme zum Urlaubsgesuch einräumen (E. 3.8).
20.01. 2025 – 24.01.2025
Bundesgerichtliche Rechtsprechung
Zusammengefasst von Dafina Begaj
2C_541/2023 * (26.11.2024) Tierschutz; Kostentragung bei einer tierärztlichen Behandlung
Der Tierhalter oder die Tierhalterin ist für die medizinische Behandlung des Tieres verantwortlich und trägt auch deren Kosten. Das gilt auch für den Fall, dass die Behandlung durch die Behörde angeordnet wird. Artikel 24 Abs. 1 TSchG normiert damit einen gesetzlichen Fall der Ersatzvornahme (E. 5). Vorliegend durfte die vorgängige Suche nach dem Halter aufgrund der Notsituation unterbleiben und die Behörde durfte damit ohne vorgängige Verfügung unverzüglich die Ersatzmassnahme vornehmen (E. 5.3). Es entstand vorliegend somit ein privatrechtliches Rechtsverhältnis zwischen dem Gemeinwesen, dem die Polizei angehört, und der Beschwerdeführerin (E. 5.4). Folglich entstand im Ergebnis auch aus dem behördlichen Einschreiten im Sinne von Art. 24 Abs. 1 TSchG kein öffentlich-rechtlicher Rechtsanspruch auf Übernahme der Kosten der tierärztlichen Behandlungen gegen die Gemeinde (E. 5.5).
5A_137/2024 * (12.12.2024) Kollokation
Kostenverteilungsverfügungen betreffend Altlasten können in gestaffelter Art ergehen. Möglich ist, dass erst die Kostenanteile (prozentual) verfügt werden, bevor die genauen Kosten und damit die zu zahlenden Beträge feststehen. In diesem Fall ist nach Vorliegen der Schlussabrechnung eine zweite Verfügung erforderlich, welche die definitiven Beträge festlegt, wenn die gesamten Kosten der Sanierung bekannt sind (E. 3.4.1). Analog eines Gläubigers eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruchs ist die Konkurseingabe nicht zu beziffern. Wegen der unbestimmten Dauer der finanziellen Auswirkung des Lebenssachverhaltes, vorliegend der Sanierung, könne und müsse die Forderung sodann lediglich genügend substanziert werden, um zur Kollokation zugelassen zu werden, was im Rahmen einer “Plausibilitätsprüfung” erfolge. Nur so könne man dem Verursacherprinzip gemäss USG – im Konkurs des Verursachers bei unbestimmter Dauer der Sanierung und deren Kosten – gerecht werden (E. 3.4.4). Art. 42 Abs. 2 OR hat auch ausserhalb des Schadensrechts eine wichtige Funktion im Sinne einer analogen Anwendung, wo das Festhalten am strikten Beweis ebenfalls eine Vereitelung der jeweiligen Rechtsposition bringen würde; die sinngemässe Anwendung wird auch im öffentlichen Recht bejaht, wenn ein Handeln innert Frist notwendig ist (E 3.4.6). Die Beweiserleichterung, die Art. 42 Abs. 2 OR verschafft, zieht auch eine Einschränkung der Behauptungs- und Substanzierungslast [der Sanierungskosten] nach sich (E. 3.5). Die altlastenrechtliche Kostenforderung entsteht mit der (vor der Konkurseröffnung erfolgten) Verursachung der Umweltschäden und ist kollozierbar (E. 3.8).
5A_89/2024 * (16.12.2024) Erbteilung
Mit der lebzeitigen Übertragung von Vermögenswerten an ein vermögens- und rechtsfähiges Treuunternehmen unter gleichzeitigem unwiderruflichen Verzicht auf jegliche Rechte am Treuvermögen hat sich der Erblasser zu Lebzeiten seiner Vermögenswerte entledigt. Sie schieden aus seinem Vermögen aus und fallen deshalb nicht in seinen Nachlass (E. 5.4.2). Das vorliegende Treuunternehmen kann nicht mit einer Einmannaktiengesellschaft gleichgesetzt werden und rechtfertigt somit auch keinen Durchgriff (E. 5.4.3.2.2.).
Die vorliegende Konstellation lässt sich insofern mit der versicherungsrechtlichen Begünstigung vergleichen, als der Erblasser lebzeitig die Schaffung eines Treuunternehmens veranlasst, aus seinem Vermögen finanziert und für den Fall seines Versterbens Zweitbegünstigte bezeichnet hat. Es liegt daher nahe, auch die vom Erblasser veranlasste Begünstigungsklausel als Rechtsgeschäft unter Lebenden zu qualifizieren (E. 6.4.3). Daher kann allein in der Einräumung einer Begünstigtenstellung keine ausgleichungspflichtige Zuwendung erblickt werden (E. 7.4.4). Aus den Vermögenswerten des Treuunternehmens (vorliegend irrevocable discretionary trust) resultiert damit keine Anrechnung und die blosse Einräumung der Begünstigtenstellung stellt keine ausgleichungspflichtige Zuwendung im Sinn von Art. 626 ZGB dar (E. 7.5.3).
8C_94/2023 * (19.12.2024) Invalidenversicherung
Für die Abgrenzung zur individuellen Wohnform ist vordergründig, ob ein für Heime typisches Leistungsspektrum erbracht wird (E. 5.2 und E. 5.3). Auch eine einzelne Wohnung in einem Mehrfamilienhaus kann somit als Heim im Sinne von Art. 35ter IVV gelten, sofern sie von einer Trägerschaft zur Verfügung gestellt wird, die darüber hinaus ein weitergehendes Leistungsangebot erbringt, das die massgebenden materiellen Merkmale eines Heims aufweist (E. 7.1.2). Für die Beurteilung des Heimcharakters sind der Umfang und die Intensität der von der Einrichtung erbrachten Betreuungsleistung zu berücksichtigen. Vorliegend wird durch die erbrachten ambulanten Betreuungsleistungen von dreimal eine Stunde und 15 Minuten pro Woche die massgebende Erheblichkeitsschwelle von zwei Stunden überschritten (E. 7.2). Weiter sind die Kosten für die Begleitung im Vertrag über die ambulante Wohnbegleitung ausdrücklich geregelt (E. 7.3).
4A_418/2024 * (20.12.2024) Schutzschrift; rechtliches Gehör
Mit einer Schutzschrift kann eine Partei einer superprovisorischen Massnahme zuvorkommen, indem sie dem Gericht für den Fall, dass das befürchtete Gesuch um Anordnung superprovisorischer Massnahmen effektiv gestellt wird, in der Schutzschrift vorsorglich ihre Gegenargumente vorträgt (E. 4.5). Geht ein entsprechendes Gesuch ein und kommt das Gericht zum Schluss, dass in Berücksichtigung der in der Schutzschrift vorgetragenen Argumente die beantragte Massnahme nicht superprovisorisch verfügt werden kann, geht es über zum kontradiktorischen Verfahren nach Art. 253 ZPO, in dem zu prüfen ist, ob die beantragte Massnahme (wenn nicht superprovisorisch, so wenigstens) vorsorglich angeordnet werden kann (E 4.5.1). Kommt das Gericht zum Schluss, dass die beantragte Massnahme trotz Berücksichtigung der in der Schutzschrift vorgetragenen Argumente superprovisorisch verfügt werden kann, ordnet es in der ersten Stufe das Superprovisorium an. Hierbei genügt es, die Schutzschrift der Gesuchstellerin erst mit dem Entscheid über den Erlass des Superprovisoriums mitzuteilen (E. 4.5.2). Vorliegend hat die Vorinstanz das Gesuch um superprovisorische Massnahmen abgewiesen, ohne der Gesuchstellerin die Schutzschrift zur Kenntnis zu bringen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Das gebotene Verfahren wurde vorliegend nicht beachtet und somit wurde das rechtliche Gehör der der Gesuchstellerin verletzt (E. 4.6).
13.01. 2025 – 17.01.2025
Bundesgerichtliche Rechtsprechung
Zusammengefasst von Laura Ambühl
9C_42/2024 * (05.12.2024) Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Zürich und direkte Bundessteuer, Steuerperiode 2012 und 2015
Die vereinfachte Nachbesteuerung in Erbfällen setzt die Unkenntnis der «Steuerhinterziehung» auf Seiten der Steuerbehörde voraus, woraus sich das Erfordernis eines Gesuchs bzw. einer Meldepflicht seitens der Erben ableiten lässt. Massgebend ist der Kenntnisstand der Steuerbehörden im Zeitpunkt, in welchem eine allfällige Meldung des Alleinerben/der Alleinerbin erfolgt (E. 4.2.3).
9C_166/2022 * (09.12.2024) Krankenversicherung
Das Bundesgericht machte zunächst Ausführungen zur Screening-Methode, welche den «ersten Schritt» der Wirtschaftlichkeitskontrolle darstellt (E. 5.4) sowie zum «zweiten Schritt» der Wirtschaftlichkeitskontrolle, der Einzelfallprüfung (E. 5.5). Eine Rückerstattungsklage hat auf den Ergebnissen der Einzelfallprüfung durch die Krankenversicherer zu beruhen (E. 6.4.4.; E. 5.6). Weicht das Verfahren von den tarifpartnerschaftlich vereinbarten Vorgaben ab, liegt in methodischer Hinsicht eine Verletzung von Art. 56 Abs. 6 KVG vor (E. 6.4.4). Gruppenpraxen dürfen an einer Vergleichsgruppe gemessen werden, die sich überwiegend aus Einzelpraxen zusammensetzt, da die Kosten pro Patient entscheidend sind (E. 8.1). Sollten im Screening-Verfahren relevante «Pharmazeutische Kostengruppen» (PCG) nicht berücksichtigt worden sein, präjudiziert dies die anschliessende Beurteilung im Einzelfall nicht (E. 8.2). Erweiterte Öffnungszeiten an sich stellen keine erhebliche Praxisbesonderheit dar. Sie sind jedoch dann als kostenwirksam zu berücksichtigen, wenn dies eine Ausweitung der medizinischen Versorgung bewirkt (E. 9.1.2). Angebotene delegierte Psychotherapie erfolgt ausserhalb der ärztlichen Grundversorgung und ist Gegenstand einer separaten Wirtschaftlichkeitsprüfung, dies jedoch nur, soweit für die psychotherapeutischen Leistungen nicht bereits Kostengutsprache geleistet worden ist (E. 9.2.2). Eine psychosomatische und sozialmedizinische Ausrichtung der Praxis als solche stellt an sich keine Praxisbesonderheit dar; sie kann aber zu einem vergleichsweise grösseren Anteil kostenintensiver Patienten führen, was wiederum zu berücksichtigen wäre (E. 9.2.3).
9C_361/2024 * (19.12.2024) Mehrwertsteuer, Steuerperioden 2014 bis 2018
Nach Rechtsprechung des Bundesgerichts sind Veranlagungsfehler nicht berichtigungsweise, sondern auf dem Rechtsmittelweg geltend zu machen. Steht der Behörde kein Rechtsmittel (mehr) zur Verfügung, so hat es – abgesehen vom Vorliegen eines absoluten Ausnahmefalls – beim Veranlagungsverfahren zu bleiben (E. 3.3.3.4). Das im Mehrwertsteuerrecht geltende Postulat der gesteigerten Rechtssicherheit schliesst es aus, wiedererwägungsweise bzw. widerrufsweise auf eine rechtskräftige Einschätzungsmitteilung, eine rechtskräftige Verfügung oder einen rechtskräftigen Einspracheentscheid zurückzukommen (E. 3.4.2).
4A_527/2024 * (18.12.2024) Bereinigung des Sonderuntersuchungsberichts (aArt. 697e Abs. 2 OR, Art. 697g Abs. 2 OR)
Ersucht die Gesellschaft um Streichung einer Stelle mit der Begründung, diese sei für den Untersuchungsgegenstand nicht relevant, hat sie zuvor darzutun, dass die Stelle ihr Geschäftsgeheimnis oder schutzwürdige Interessen verletzt (E. 3.4).
2C_64/2023 * (26.11.2024) Sanktionsverfügung vom 2. Dezember 2013 (Abreden im Bereich Luftfracht, Untersuchung 81.21-0014)
Umstritten war vorliegend das Verhältnis des durch das Luftverkehrsabkommen (LVA) übernommenen europäischen Kartellrechts zum Schweizer Kartellrecht samt der Sanktionsbestimmung von Art. 49a Abs. 1 KG (E. 5.5). Nach Auslegung von Art. 11 Abs. 2 LVA kam das Bundesgericht zum Schluss, dass die Norm die Anwendung des Landesrechts nicht ausschliesst, soweit das innerstaatliche Recht der Durchsetzung von Art. 8 f. LVA dient und es den Regelungen des LVA samt dem damit übernommenen europäischen Kartellrecht nicht widerspricht (E. 5.6). Das Bundesgericht hielt fest, dass es sich beim Informationsaustausch zu den Treibstoffzuschlägen um eine Abrede im Sinne von Art. 8 Abs. 1 LVA i.V.m. Art. 4 Abs. 1 KG handelt. Die betreffenden Unternehmen wollten sich über Informationen ihrer Wettbewerberinnen generell austauschen und taten dies auch, um auf diesem Weg über die geplanten oder bereits vollzogenen Schritte der Konkurrenz informiert zu sein (E. 8.5.1.1; E. 8.5.1.3). Der Informationsaustausch (E. 8.5.2.2) und die Nicht-Kommissionierung von Zuschlägen (E. 8.6) waren zumindest geeignet, eine Wettbewerbsbeschränkung bei der Einführung und der betraglichen Änderung von Treibstoffzuschlägen zu bezwecken, wenn nicht gar zu bewirken (E. 8.7). Zwar wurde die Sanktionsbemessung und -berechnung nicht beanstandet, aber die Sanktion dennoch aufgrund der Verletzung des Beschleunigungsgebots im Rahmen des bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens gekürzt (E. 12.4.1; E. 12.5).
9C_273/2024 * (16.12.2024) Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Bern und direkte Bundessteuern, Steuerperioden 2013-2015
Die Prozessführungsbefugnis ist im Nachsteuerverfahren – in Übereinstimmung mit der zivilrechtlichen Lesart (E. 4.2.1) – ausschliesslich dem Willensvollstrecker zuzugestehen. Hingegen sind den Erben diejenigen Verfahrensrechte einzuräumen, die zur Wahrung ihrer Interessen als solidarisch haftende Steuerschulden unerlässlich sind (E. 5.3.3).